Lange habe ich überlegt, ob ich über meine Erfahrung überhaupt schreiben soll. Ist es vielleicht zu persönlich, will das überhaupt jemand lesen? Doch mittlerweile weiß ich von so vielen Freundinnen, die das gleiche bereits durchlebt haben, und ich finde es so traurig, dass es doch irgendwie jeder mit sich selbst (und dem Partner) ausmachen muss. Mir hilft es sehr, zu wissen, dass ich nicht alleine bin mit dieser schmerzlichen Erfahrung, und deswegen möchte ich euch heute von meinem Erlebnis erzählen. Bitte verzeiht, dass ich heute keine schönen Bilder mitgebracht habe, aber vielleicht lest ihr den (langen) persönlichen Text ja auch so. Ich hoffe, dass er helfen kann oder Anstoß gibt, selbst darüber zu sprechen, es gibt keinen Grund sich dafür zu verstecken oder zu schämen.
Damals mit 22 machte ich mir noch keine großen Gedanken darüber, ob etwas schief gehen konnte, schließlich war ich ja noch jung. Ich zählte die Wochen, bis ich es offiziell erzählen konnte - ich hatte gehört, dass man normalerweise bis nach der 12. Woche wartet wegen des Risikos einer Fehlgeburt. So ganz ernst nahm ich das nicht, und so erzählten wir es bereits ein paar engen Freunden. Bis ich dann eine Predigt hörte, in der der Pastor erzählte, dass sie in der zwölften Woche bei einer normalen Vorsorgeuntersuchung erfuhren, dass sie ihr Kind verloren hatten. Und in mir eine innere Gewissheit aufkam, dass wir das auch zu bewältigen haben würden. Ich wollte den Gedanken nicht wahrhaben, doch die Gewissheit blieb.
Bei der Untersuchung in der 10. SSW war noch alles in Ordnung, lediglich ein bisschen klein war unser Kind immer. Etwa eine Woche weniger, als wir eigentlich waren, aber das irritierte mich zunächst nicht weiter. In der elften Woche dann bekam ich eine schwache Blutung. Es war ein Freitag, direkt vor Weihnachten. Ich rief beim Frauenarzt an und bekam sofort einen Termin. Mein Mann begleitete mich, wir machten uns beide auf das Schlimmste gefasst. Auf dem Weg zum Arzt sang ich in Gedanken immer wieder die deutsche Version von "Blessed be your name" von Matt Redman. Vor allem die Zeilen "Egal, was du mir gibst, egal, was du mir nimmst, du bist und bleibst mein Gott, nur dir gehört mein Lob" trugen mich, denn ich wollte Gott in jeder Lebenslage mein Lob geben können, nicht nur in den guten Zeiten.
Die Minuten im Warteraum schienen zu Stunden zu werden, ich wollte einfach nur wissen, was nun ist. Als dann endlich, endlich der Ultraschall gemacht wurde, sahen wir sofort den fehlenden Herzschlag. Unser Kind sah auch nicht mehr aus wie noch vor einer Woche, Beine und Arme kaum auszumachen. Ich betete innerlich, Gott möge uns unser Kind doch zurückgeben, und sein Herz wieder schlagen lassen, doch ich wusste irgendwie, dass das nicht passieren würde.
Wir kämpften mit den Tränen. Die Frauenärztin erklärte mir sehr einfühlsam, dass es in einem so weit fortgeschrittenen Stadium nicht ratsam wäre, zu warten, bis der Körper das Kind selbst abstoßen würde, es müsste eine Ausschabung vorgenommen werden. Ob ich das lieber heute oder morgen machen wolle, fragte sie mich. Lieber heute, sagte ich nach kurzem Nachdenken. Sie rief für uns im Krankenhaus an und gab uns für denselben Abend einen Termin.
Auf dem Weg nach Hause überwältigte mich die Traurigkeit. Ich hatte gerade den Gedanken gefunden, bald Mutter werden zu dürfen, da musste ich ihn auch schon wieder loslassen. Mein Mann war nicht weniger traurig, es half mir sehr, das zu sehen.
Ein befreundetes Ehepaar fuhr uns ins Krankenhaus, sie standen uns die ganze Zeit zur Seite, wenn wir sie brauchten. Die Untersuchungen von den Ärzten waren okay, der Gynäkologe bei der Voruntersuchung zwar nicht der Hit (er nahm meine Kreislaufprobleme beim Blutabnehmen erst ernst, als mir richtig schwarz vor Augen wurde). Allerdings hatte ich nie das Gefühl, einfach nur eine Nummer zu sein, oder dass alles heruntergespielt werden würde nach dem Motto "Passiert vielen, dann klappt es bestimmt beim nächsten Mal". Die Schwestern, die sich dann um meinen Blutdruck kümmerten und mir sofort ein Bett vors Untersuchungszimmer schoben, um meine Beine hochzulagern und mich an einen Tropf zu hängen, waren sympathisch-scherzhaft aufgelegt ("Mit dem Blutdruck wäre ich auch umgekippt", sagte eine augenzwinkernd). Das half mir etwas, vorübergehend auf andere Gedanken zu kommen.
Ich bekam ein Zimmer für mich allein. Nach kurzer Zeit kamen dann aber auch schon die Ärzte, um mich auf den OP vorzubereiten. Das Thema Fehlgeburt war eigentlich die ganze Zeit nicht angesprochen worden, sie klärten mich sachlich-freundlich über den Eingriff auf, wie die Narkose angewandt würde usw. An alles erinnere ich mich nicht mehr, nur dass auch sie scherzten, mit mir und untereinander, jedes Mal aber auf eine sehr leichte, ablenkende Weise. Auch das half mir, erstmal loszulassen und das Vertrauen zu haben, dass sie ihre Sache schon gut machen würden.
Statt einer Dreiviertelstunde brauchte ich zwei Stunden, bis ich wieder richtig wach war. Ich war so müde, dass ich im Aufwachraum nochmal einschlief. Als ich dann auf dem Zimmer war, wurde mir gesagt, dass ich selbst entscheiden dürfe, ob ich gehen oder über Nacht bleiben wolle, vorausgesetzt mein Kreislauf mache mit und ich würde es schaffen, mich alleine anzuziehen. Nach einiger Zeit war mein Kreislauf wieder so in Ordnung, dass wir gehen konnten. Unsere guten Freunde hatten meinem Mann Gesellschaft geleistet und uns mit Essen versorgt, und brachten uns nun wieder nach Hause. Für ihre Hilfe war und bin ich ihnen so dankbar.
Die ersten Tage darauf waren furchtbar. Selbst mit Schmerzmitteln waren die Schmerzen kaum auszuhalten, vor allem, wenn ich Husten musste oder sonst den Bauch anspannte. Auch war der Gedanke, wieder allein zu sein in meinem Körper, waren anfangs unerträglich. Ich fühlte mich so seltsam einsam. Gott sei Dank hatten wir in den ersten Tagen viel Gesellschaft von Freunden, denen wir uns anvertrauen konnten, die uns bei der Trauerbewältigung halfen und die teilweise ähnliches erleben mussten und uns mit ihren Erfahrungen Beistand leisteten. Es war schön, nicht allein zu sein. Auch meine Mutter stand mir in dieser Zeit näher als je zuvor, ich bin so froh, mich ihr anvertraut zu haben.
Als dann die Zeit verstrich, merkte ich, wie ich zwar trauerte, aber nicht verzweifelte. Gott hielt mein Herz zusammen, damit es nicht zerbrach. Wir sprachen mit immer mehr Freunden offen über unsere Erlebnisse. Ein guter Freund fragte uns, ob wir denn einen Namen gehabt hätten. Mein Mann gab unserem Kind dann einen Namen, das half auch sehr. In unserer Gemeinde und im Bekanntenkreis waren viele schwangere Frauen, und ich betete inständig, dass Gott mein Herz vor Missgunst und Neid bewahren würde. Tatsächlich wandelte er meine Trauer und Wut in Freude über jedes Kind, dass bald in unserer Mitte sein würde.
Wir wollten es ganz Gott überlassen, uns den richtigen Zeitpunkt für einen neuen Versuch zu zeigen. Ob das nun erst in einigen Jahren oder schon bald sein würde, legten wir ganz in seine Hände. Viele Menschen beteten intensiv für uns. Als es dann Frühling wurde, geschah etwas sehr Erstaunliches. Zu unserer Hochzeit, die nun schon über ein halbes Jahr zurücklag, wurden einige Heliumballons mit Postkarten abgeschickt, an uns adressiert. Jeder Gast sollte damals einen Gutschein für uns ausfüllen und uns etwas zu unserer Hochzeit wünschen. Es kamen einige Karten bis zum Winter an, danach rechneten wir durch Schnee und Regen nicht mehr damit und hatten sie schon quasi vergessen.
Dann erreichte uns aber doch noch eine Karte. Die Finder legten einen Brief dazu, in dem sie uns von ihrer halsbrecherischen Postkarten-Rettungsaktion berichteten. Der Ballon hing in einem Baum, hoch über einem Fluss. Am Ende hatten sie nach mehreren Versuchen den Ballon über Räuberleiter oder ähnlich Waghalsiges aus den Ästen gefischt. Sie wünschten uns alles Gute. Als wir uns dann die Postkarte ansahen, durften wir Folgendes lesen als Wunsch für uns:
"Seid fruchtbar und mehret euch!"
Deutlicher ging es ja wohl nicht. Und Gott schenkte uns wirklich eine gute Schwangerschaft, eine nicht einfache, aber schöne Geburt, aus der wieder eine neue Freundschaft entstanden ist mit der Hebamme, tolle Menschen im Geburtsvorbereitungskurs, die ich auch heute noch sehr schätze (auch wenn ich viel zu selten dazu komme, mich zu melden). Und er versorgte uns mit allem, was wir brauchten für unser Kind, wir hatten mehr als genug.
Ja, auch während dieser Bilderbuchschwangerschaft hatte ich zwischendurch Angst, ob alles gut gehen würde. Und auch in der danach. Aber Gott hat mir eine sehr wichtige Waffe geschenkt, die mir half und hilft, jede Angst wirksam abzuwehren. Sein Wort. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich diese Verse entdecken durfte, aber sie haben mich seither fest gegründet:
Es soll keine Frau in deinem Lande eine Fehlgeburt haben oder unfruchtbar sein, und ich will dich alt werden lassen (2. Mose 23,26)
Es war nicht immer leicht, aber am Ende habe ich immer die Angst mit der Hoffnung besiegen dürfen. Und ich weiß, dass es nicht Gottes Wille ist, dass wir unsere Kinder nicht in den Armen halten dürfen, und dass er hinter uns steht.
Und heute?
Mittlerweile weiß ich, dass ich mit der Erfahrung einer Fehlgeburt nicht allein bin, bei weitem nicht. Je mehr ich von uns erzählt habe, desto mehr Freunde erzählten davon, so etwas auch durchgemacht zu haben. Es ist auch einfach gar nicht so selten. Eine Freundin erzählte mir damals, dass manchmal, wenn sie nicht damit rechnet, die Trauer wieder heraufkommt und sie wieder mit voller Wucht trifft. Eine andere sagte, sie habe ein Jahr gebraucht, um zurecht zu kommen, und auch nach dem Jahr ging es ihr noch nicht wirklich gut. Mittlerweile haben viele von ihnen Kinder bekommen, manche nicht.
Ich kann keine pauschale Antwort darüber geben, was wirklich hilft in einer solchen Situation, oder wie lange die Trauerbewältigung dauert. Mir hat es sehr geholfen, zu wissen, dass Gott uns nicht erst sieht, wenn wir geboren sind, sondern schon lange vorher, und auch einen Plan mit uns hat, wenn wir nie das Licht der Welt erblicken.
Eines kann ich allerdings mit Gewissheit sagen. Beistand von guten Freunden war ein ganz wichtiger Bestandteil davon, nicht ins Bodenlose zu fallen. Freunde, die einen versorgen, wenn man gerade nicht an kochen und einkaufen denken will oder mit Schmerzen im Bett liegt, Freunde, die einem ein offenes Ohr schenken, zeigen, dass sie da sind, Freunde, die von ihren Erlebnissen erzählen, wenn sie dasselbe durchmachen mussten.
Was mir nicht geholfen hat bzw. hätte:
"Na ja, klappt vielleicht beim nächsten Mal." Kein Kind kann das andere ersetzen, der andere Mensch fehlt einfach. Es geht auch darum, in die Zukunft zu schauen, ja, aber erstmal darum, um das verstorbene Kind zu trauern und sich an den Gedanken zu gewöhnen, vorerst nicht (wieder) Mutter zu werden.
"Vielleicht hätte es ja eine Behinderung gehabt." Diese Aussage hat mich am meisten geschockt, Wir hätten ein behindertes Kind genauso liebevoll aufgenommen und gewollt wie ein gesundes Kind. Es war geliebt, von Anfang an, egal ob alles am rechten Fleck sitzt, es war unser Kind.
Solche oder ähnliche Kommentare entstehen manchmal einfach aus Unbeholfenheit und Überforderung, aber wenn euch nichts einfällt, fragt einfach, wie es den Betroffenen geht, geht auf sie ein, fragt, wie ihr helfen könnt, und wenn ihr nicht weiter wisst, sagt auch das ganz offen. Wir wussten damals ja selbst nicht, wie wir unsere Gedanken sortieren sollten, das erwartet auch niemand von einem Beistehenden. Nur da sein, eine Schulter zum Anlehnen, Taschentücher zum (gemeinsamen) Weinen, Zeit, ein leckeres Essen, es gibt viel, was man tun kann, ohne Ratschläge oder Trost verbal verteilen zu müssen, die vielleicht doch nicht der Absicht genügen.
Ich muss sagen, mir gehen Filme und Berichte über Fehlgeburten, Abtreibungen und verstorbene Kinder immer noch sehr nahe, aber das hat vielleicht mehr mit meinem Charakter als mit der Fehlgeburt an sich zu tun. Mir macht es Hoffnung, dass wir eines Tages einen Menschen treffen dürfen, der irgendwie zu uns gehört, ganz sicher aber zu Gott. Ich glaube, dass wir mittlerweile gut zurecht kommen und die Trauer bewältigen konnten. Ich kann an unser Kind denken, ohne zu weinen, meistens jedenfalls. Mich darauf freuen, es irgendwann zu sehen. Doch ganz wichtig ist es, zu wissen, dass zwar schlimme Dinge in dieser Welt geschehen, aber dass Gott uns nicht allein lässt, uns hindurch trägt und wieder ins Licht führt, wenn auch manchmal nicht so, wie wir uns das vorstellen.
Ich bin dankbar für unsere beiden Mädchen und den kleinen Jungen, der bald aus meinem Bauch in unsere Mitte kommt. Vielleicht noch mehr, als ich ohne die Fehlgeburt gewesen wäre. Gott gebraucht alles zu unserem Besten (vgl. Römer 8, 28.), das durfte ich hautnah erfahren. Der Verlust auf der einen Seite und die neu gewonnenen, gefestigten Beziehungen zu unseren Freunden und zu meiner Mama auf der anderen Seite, weil wir offen über alles reden durften und uns viel anvertraut wurde. Auf Gottes Wort will ich mich stellen, egal was die Umstände bringen. Und auch da helfen Menschen, die das schon vor einem selbst getan haben, als Vorbild.
Gott trägt Dich!
AntwortenLöschenDanke fürs Mit-teilen <3
Vielen Dank fürs Teilen! Ich hatte eine Fehlgeburt in der 7. bzw. 9. ssw, ein sogenanntes 'Windei'. Erst hab ich versucht, mir einzureden, dass es ja noch garkein 'richtiges' Kind war, schließlich hat man noch kein Herz schlagen sehen. Aber das ging nicht. Auch wenn die Fehlgeburt sehr früh war und der Ultraschall noch kein klassisches Embryobild gezeigt hat, war ich schwanger. Ich erinnere mich, dass ich nach der Ausschabung im Krankenhaus heulend aus der Narkose aufgewacht bin. Ich hab einfach nur noch geweint, weil ich mein Kind 'verloren' habe. Auch wenn es noch nicht ausgereift war, war es gefühlsmäßig eindeutig mein Baby, das ich nicht in meinen Armen halten konnte. Gott sei Dank hat mein Mann das genauso gesehen und nicht versucht, es klein zu reden. Das allein hat mir sehr geholfen, dass er mit mir geweint hat um unser Kind egal wie groß es erst war! Danach war ich erstmal richtig krank, Grippe oder sowas und hatte einen 'offiziellen' Grund, mich im Bett zu verkriechen. Ich hab eine ganze Weile gebraucht, um das zu verarbeiten. Schwangeren Frauen bin ich länger erstmal aus dem Weg gegangen, das war mir zu viel. Es war auf jeden Fall nichts, was sich so einfach abhaken ließ. Mir ging es richtig schleckt. Aber ich habe von Gott damals den Vers bekommen aus 1.Joh. 2, 25 "Und dies ist die Verheißung, die er uns verheißen hat: das ewige Leben." Das Leben, das Gott schenkt ist ewig! Es tut unglaublich weh, dass ich dieses Kind nicht hier auf der Erde in meinen Armen halten darf. Aber ich weiß, wir werden uns im Himmel sehen! Weil es nicht nur eine 'Fehlgeburt' war, sondern Gott ein Leben geschenkt hat, das ewig ist. Das hat mir in der Trauer Hoffnung gegeben!
AntwortenLöschenDanke, liebe Antschana, für deine Offenheit! Gottes Segen wünsche ich dir und deiner Familie!
LöschenLiebe Janine,
AntwortenLöschenNachdem du vor ein paar Wochen einen so lieben und einfühlsamen Kommrntar zu meinem Jahresrückick und unserem Verlust geschrieben hast wollte ich dir eine Mail schicken. Dann kam mal wieder alles anders und heute abend hab ich beschlossen bei dir vorbei zu schauen und lese diesen sehr persönlichen Erfahrungsbericht. In vielem stimme ich dir zu. MeineN Mut und die Kraft nach vorne zu sehen mit vielen Freundinnen die ebenfalls das Schicksal teilen ist: Wir sind um eine Erfahrung reicher und sei sie noch so traurig. Mit der Trauer und dem Danach klar zu kommen und den Gefühlen mitzufühlen und einen in jeder Form zu verstehen schafft, wer weiss was man erlebt hat.
Lg Judith
Liebe Judith,
LöschenDanke für deinen Kommentar! Ich wusste nicht, ob meine Worte so rübergekommen sind, wie sie sollten, aber jetzt weiß ich es :-) Ich wünsche euch alles Gute für 2017!
LG