Der angefangene Abwasch liegt seit sieben Stunden in mittlerweile kaltem Wasser. Eine halbe Tasse Morgenkaffee finde ich bei einem Toilettengang im Bad wieder. Der Teebeutel hängt noch immer trocken in der Kanne. Das Wasser dafür hat im Wasserkocher wieder Ausgangstemperatur angenommen. Während ich das Kind über dem Waschbecken abhalte, sehe ich im Spiegel, dass ich noch immer den zerzausten Zopf von letzter Nacht trage. Bei der Gelegenheit senke ich den Blick Richtung Brust, um zu schauen, ob ich die wenigstens wieder eingepackt habe nach dem letzten Stillen. Alles in Ordnung. Das Szenario, eines Tages dem Postboten zu öffnen und ihm unbemerkt meine beiden oder mindestens eine unbedeckte Brust hinzuhalten, schwirrt immer wieder angsteinflößend durch meinen Kopf. Kopf ist ein gutes Stichwort. Dem fallen nämlich die Haare aus. Der Hormonumschwung lässt grüßen. Überall in der Wohnung liegen meine Haare rum und erinnern mich, dass ich theoretisch mal wieder putzen müsste. Ein guter Anfang wäre es aber schon, die vollgekackte Mullwindel wegzuräumen, die ich beim letzten Wickeln zur Sicherheit aller erst einmal zur Seite legte mit dem Vorhaben, sie zeitnah auszuwaschen. Auf die Frage meiner Mutter am Telefon, um welche Uhrzeit wir denn am Wochenende erscheinen würden, kann ich nur pokernd eine Zeitspanne nennen und weiß gleichzeitig auch, dass wir wohl wieder eher fahren werden, als wir wollen, da unser Kind einfach keine Lust hat woanders als in ihren heimischen Gefilden zur Ruhe zu kommen. Meine Was-ich-noch-alles-nähen-will-Liste füllt sich immer mehr und die bereits gekauften Stoffe sowie die neue Nähmaschine kommen einfach nicht zum Einsatz. Versprechen, die ich gegeben habe, muss ich aufschieben. Und auch im Flur unserer Wohnung wird ständig etwas hin- und hergeschoben, denn dort horten sich die Dinge, die wir noch bauen, wegbringen, aussortieren etc. wollen.
Und ganz nebenbei liegt seit Monaten auch noch ein Blog brach, für den ich
eigentlich ein großes Herz und massig Ideen habe.
Willkommen im Alltag
einer Mutter, höre ich da eine imaginäre Stimme rufen.
Mein Hirn allerdings produziert nur ein: Alles
halbe Sachen. Ich hasse halbe Sachen.
Mein Motto war immer: Ganz oder gar nicht. Mit vollem Herzen
dabei sein oder die Sache lieber gleich sein lassen. Angefangene und halbfertige
Sachen wurmen mich. Sie setzen mich unter Druck. Sie sperren meine
Zufriedenheit in das innerste Kämmerlein
meiner selbst und holen sie erst dann wieder hervor, wenn ich die Dinge
für perfekt optimal halte. Nein, ich würde mich selbst nicht als
Perfektionistin bezeichnen – aber: da geht immer noch mehr. Ich liebe es, Dinge
weiterzudenken, weiterzuentwickeln, in Bewegung zu bleiben, sich mit dem
Gegebenen nicht zufrieden zu geben, mehr zu erwarten. Positiv ausgedrückt: Ich
habe Hoffnung. Ich glaube an unentdeckte, ungehobene Schätze, die noch in der
Zukunft liegen.
Und ich hätte diese Zukunft manchmal gern schon jetzt. Das
ist das Problem. Jetzt und Zukunft sind zwei Paar Schuh‘. Ich nehme
mir zu schnell das zweite Paar davon und stiefle damit durch meine Traumwelt.
Spätestens wenn ich dann über die liegengelassenen Alltäglichkeiten stolpere, merke
ich, dass sie eigentlich noch gar nicht passen, bin frustriert und schiebe das
im schlimmsten Fall auf den Schuster. Der erinnert mich dann daran, dass er
doch extra Schuhpaar „Jetzt“ geschustert hat, das ich gefälligst auch zu
tragen habe. Und ich, ich wünsche mir wieder einmal einen Lehrer, der mir zeigt
wie ich darin laufen kann.
Und dann, von jetzt auf gleich, ganz unerwartet, als das Kind schon zum
x-ten Mal am Tag meine Pläne und Erwartungen zunichte macht, weil Mamas Schoß der sicherste Hafen und weit
und breit auch keine andere Milchbar zum Abhängen zu finden ist – dann auf einmal,
als ich die x-te Minute damit verbringe gezwungenermaßen einfach nur
dazusitzen und mich über meinen imperfekten, suboptimalen Tagesablauf ärgere,
da merke ich plötzlich: ich halte die Perfektion in Person in meinen Armen. Keine halbe Sache, sondern ein ganzes Menschlein. Und ist der Moment mit diesem nicht das Wertvollste und Perfekteste, was mir passieren kann?
Plötzlich schleicht sich in die Stillzeit ein E ein und machte sie zur Stillezeit für mich. Ich
merke, wie die Zukunft-Stiefel von
meinen Füßen fallen und staune nicht schlecht, als ich das Paar Jetzt-Schuhe an meinen Füßen entdecke.
Wer hätte gedacht, dass die Jetzt-Schuhe
gar keine Schuhe sind? Es sind Socken. Denn im Jetzt muss ich nicht laufen, ich darf verweilen und genießen.
Und nun? Ich kann mich freuen, wenn mein Töchterchen wieder
einmal mehr schreit als mir das in den Kram passt. Denn eigentlich schreit sie
nicht. Meine kleine Lehrerin ruft: Komm, Mama. Lass uns was trinken gehen.
Still werden. Kopf ausschalten. Schuhe ausziehen und Füße hochlegen. Den Moment genießen. Nur wir
zwei. Du und ich.
Sehr schöner Perspektivwechsel!
AntwortenLöschenIch habe Tränen gelacht und gestaunt über die Wahrheiten die du hier schreibst! Danke!!!!
AntwortenLöschenDanke Claudia, Ich hab fast geweint. Ich schlüpfe dann auch mal wieder ins Jetzt... drück dich!
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